Mittwoch, 29. August 2007

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Seit Wochen schon versuchen wir zur MDH-Krankenstation in Ramada zu kommen. Mit Allahs Hilfe und durch einen 10 sekuendigen Anruf des beleibten Krankenhausmanagers war das ploetzlich alles kein Problem mehr. Wie von Heuschrecken gejagt flohen wir aus der Koranschule.
Busfahrt. Abfahrtszeit 10:30. Tatsaechlich: wenn Bus voll ist: 12:30. Es regnete Maiskolben von Mitreisenden zweiter Klasse, die im einstoeckigen Bus ueber uns sassen. Die von vier Schwestern geleitete Raumstation entspricht einem sowjetischen Standard. Umgeben von Maisfeldern assen wir frischgeschlachtete Huehnerkoepfe, tranken Regenwasser und kackten neben den Acker.

Consultation Room:
- Patient mit Peptic Ulzer. Therapie jetzt in Eigenregie: Statt Aluminiumhydroxyd/Therapie Helicobakter Pylorus Eradikation nach franzoesischem Schema. Improvisation: Erythro- statt Clarithromyzin. Bitten um Feedback eines betagten Internisten.

Outpatient:
- unweit vom Hospital in einer dunklen Lehmhuette liegend, fanden wir eine dahinsiechende, abgemagerte 23 jaehrige Frau mit offener Tuberkulose. Bei der koerperlichen Untersuchung imponierten stehende Hautfalten. Um nicht denselben Fehler wie bei unserem ersten dehydrierten Patienten zu machen, draengten wir dieses Mal vehement auf eine i.v.-Rehydratation. Da ein Fortleben der Patientin von der Familie nicht erwuenscht war, wurden unsere Massnahmen so weit es ging verzoegert. Am naechsten Tag war die Patientin zunehmend verwirrt und somnolent. Nach diplomatischen Verhandlungen mit der Krankenschwester einigten wir uns zaehneknirschend auf nur 1,5 Liter Rehydratation, die Tropfgeschwindigkeit war viel zu langsam - wir sind ja nur die Praktikanten.
Wie wir erfahren haben, ist sie die dritte (und letzte) Frau des Mannes und hat zwei kleine Kinder. Angeblich wird die letzte zugeheiratete Frau besonders von ihrem Ehemann geliebt. Bis in den Tod.

Nach etwas mehr als einer Stunde dauernden Fussmarsch durch Busch und Steppe trafen wir unverhofft auf ein Dorf. Lehmhuetten wie aus historischen Buechern, Kinder nur mit Stofffetzen bekleidet und die auf kleinen Tuechern ausgebreitete Tagesernte praegten das Bild dieser Siedlung. Immer noch schwer fuer uns zu begreifen sind es jedoch keine Statisten einer Filmkulisse, sondern echte Menschen, die um das taegliche Ueberleben kaempfen.

- 54 jaehriger Patient, nicht orientiert, orale Candidose, Pneumonie und bekannte Immundefizienz. Patient verweigert antiretrovirale Therapie weil er glaubt, verhext zu sein. Therapie: Fungizide, Antibiotika, Vitamine und Eisenpraeparate.

Mittagessen wie auch alle anderen Mahlzeiten bei Oberschwester Grace - vortreffliche kenianische Kueche mit Kokosnussreis, Ingwertee und Pancakes. Ungewollt sassen wir beim Essen getrennt von den Frauen. Solche Gesten der Wertschaetzung waren uns sehr unangenehm und befremdlich. Welch ein Bild muessen unsere Vorgaenger wohl hinterlassen haben?

- 11jaehriger Junge mit Stichverletzung am Knie. Die Wunde wurde im Schein einer Oellampe genaeht.
- 10jaehriger Junge mit Schlangenbiss. Art der Schlange nicht bekannt, Antidot nicht verfuegbar. Therapie: Gabe von Hydrocortison. Zusaetzlich wurde ein schwarzer Stein auf die Wunde gelegt, welcher das Gift wie ein Magnet aussaugt. Der Stein muss nach Benutzung in Milch neutralisiert werden.

Vor lauter Dankbarkeit, Frohlockung und Entzueckung doch nach Ramada fahren zu duerfen, verbrachten wir die Naechte ohne Kopfkissen und Decken unter EINEM Moskitonetz. Das Rasseln einer Klapperschlange wurde gelegentlich von Geriama-Gesaengen des von Palmwein betrunkenen Nachbarn unterbrochen. "Palmwein" so erklaerte er uns im Vollrausch und spuckte und zischte "ist Nasi. Nasi tropft auch bei uns heraus, wenn man die Arme der Laenge nach aufschlitzt. Das Blut der Palme. Der Champagner Kenias." (30%)

...und dann war da noch eine Frau mit Zwillingen im Bauch, die verkehrt herum lagen. Und trotz Vaginitis ist sie jedoch immer noch der Meinung, eine Hausgeburt sei das einzig Wahre.

Eingeklemmt zwischen Getier, Greisen und Gebaeck sassen wir in der letzten Reihe und hofften nicht vom Dorfschlaeger verdroschen zu werden. Schubsend und stossend gestikulierte er Jung und Alt auf ihre Plaetze - und bisweilen zog er auch Einzelne wieder heraus. Wer nun auf dem Dach kein Platz fand, musste zuhause bleiben. Da der gewaehlte Bus nicht der Neueste war, wurde der Motor vom Busfahrer nach einer gewissen Strecke neu justiert. Hierzu musste die Haelfte aller Passagiere aussteigen. Vielleicht war auch nur die Kohle alle?
Warum dieser Witz? Alle Turbosaudiesel-Fahrzeuge furzen hier im Zweitakt ohne Grobpartikelfilter russend und dampfend durch die Gegend.
Auch stinkend: Muellverbrennungsanlagen nach kasachischem Standard: Klein und Gross vor jeder Haustuer.
Ueber Gogoni ging es weiter zur Hells Kitchen. Fuer urst viel Geld gab es eine Lehmgrube mit Sandbergen zu sehen.

"We pay a few hundred Shilling, you pay a few thousand. You know, this is Africa. You are mzungus!"

Nach Ende der Besichtigung wurde jeder Besucher genoetigt mit Anspielung auf sein Gewissen, Karamellbonbons und Schulhefte fuer die vor dem Tore lauernde Kindermeute zu kaufen. Ihr "Ciao!Ciao!" fuer die italienischen Gaeste wirkte perfekt einstudiert, war jedoch durchschaubar. Waehrend ihrer Inszenierung liefen sie mehrmals vor das fahrende Auto und waeren dabei fast ueberrollt worden. Neben Karies war dies ein weiterer Grund, keine Karamellas aus dem Auto zu werfen.
Zeitgleichzu diesen sozialkritischen Gedanken wurden aus unseren Schraenkendes abgeschlossenen Zimmers im von Sicherheitsleuten bewachten Tawfiq-Hospital 250 Euro entwendet. Hoffentlich hat wenigstens dieses Geld einem gerechten Empfaenger gereicht.

Danach bei Bob in Watamoo: Bier, Fressen und Palmwein. Endlich fuer einen Tag Urlaub bis 3:00 morgens. 6:00 Uhr: Matatu nach Malindi District-Hospital.

Maternity Ward:
Aermlich aussehende Frau mit acht Kindern erwartet zehntes Kind. Unter miserablen hygienischen Bedingungen, die wir hier nicht weiter beschreiben moechten, setzten bei der jungen Frau die Wehen ein, obwohl sich der Muttermund nicht oeffnete. Statt waermender Worte von den Hebammen wurde sie angeschrien und immer und immer wieder mit manueller Unterstuetzung in Form von groben Ellenbogendruecken in den Oberbauch traktiert.
Nachdem die Portio sich trotz dieser noch nicht oeffnen wollte, wurde die Patientin sich bei der Suche nach einem freien OP-Platz selbst ueberlassen. Als dieser endlich gefunden war, galt es auf Verlangen von Oberschwester Joyce erstmal einen Fingerabdruck anstelle einer Unterschrift abzugeben. Die OP-Einwilligung war damit im Kasten.

Operation Theatre:
- Auch hier wieder unangemessene Coolness. Das per Kaiserschnitt entbundene Kind war blau, atmete nicht und hatte einen schlaffen Muskeltonus (APGAR 5). Die Wiederbelebung erschien sehr uneffektiv, die Herzdruckmassage glich einem Streicheln der Brustwarzen. Als das alles nicht mehr mit anzusehen war, begann Sven unter den boesen Blicken der Schwestern mit der Herzdruckmassage. Die Schwester ueberstreckte den Kopf nicht ausreichend, so dass dem Kind die Luft im Halse stecken blieb. Dann nahm sie unvermittelt das Kind, verschwand damit im OP-Aufnahmeraum und ueberliess es mit den Worten "jetzt ist es stabil" sich selbst.

Wie in vielen anderen Situationen sassen wir wieder einmal zwischen den Stuehlen. Entweder rumstehend nichts zu tun wie ein Praktikant oder nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln wie ein Arzt - beides war uns nicht moeglich.

...

In einem malindischen Restaurant, in dem auch gern TucTuc-Fahrer und Kontrolleure essen, verspeisten wir zu viert jeweils einen Mchicha, Bohneneintopf und Chiapati. Zweifelnd was denn Mzungus in diesem auch fuer Einheimische eher schaebigen Restaurant zu suchen haetten, wurden auch wir fuer wenig Geld satt (2,80 Euro).
Fuer Bier tun wir hier alles - und liessen uns von viel zu lauter "House of Reggae" - Musik in eine dubiose Tanzwirtschaft hinter einer Tankstelle locken. Neben Frauen wurden uns auch Getraenke angeboten. Offerte des Tages: die Kellnerin selbst. Fuer alle Daheimgebliebenen haben wir folgenden Tip zugesteckt bekommen:

Edison Lewah
P.O. Box 549
Kilifi, Kenya
Tel.-No. 0720-356559
Email: edisonlewasi@yahoo.com

Dem Fleische nicht zugaenglich sollten wir auch noch Land kaufen.

"so you ordered two beers for this guy?" Der Kellner deutete auf einen tanzenden Penner. Eigentlich hatten wir zwei "Citizen" bestellt und dabei auf die Bierflasche des froehlichen Obdachlosen neben uns gedeutet.
"so you want two citizen for you?" Hoffentlich haben wir keine Menschen bestellt. Dass das gewaehlte Lokal doch eher eine Lusthoehle als eine Kneipe war bestaetigten uns durchnummerierte Raeume in einem langen Gang Richtung Toilette.

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