Samstag, 8. September 2007

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Das vertraeumte Fischerdorf (Lonely Planet), welches von uns anfaenglich als von Fliegen umsurrter Kackhaufen interpretiert wurde, stellte sich nach kurzer Eingewoehnungszeit als Perle der ostafrikanischen Kueste dar.
Der "Pirate Beach" ist ganze 10 km entfernt. Die Stadt ist nicht nur bevoelkert von Plastikmassais. Echte Massais und Samburi-Krieger haben wir schon als Freunde und Patienten schaetzen gelernt. Plastikmassais erkennt man als in rote Gewaender gehuellte, zwergenhafte, pyknische Gestalten, welche mit aus Plastik gefertigten Hirtenstaeben imaginaere Schafe zaehlen.
Wer hier wen imitiert bleibt immer noch unklar. Statt Schafe ueberall Ziegen Ziegen Ziegen. Sie nagen, kauen und beissen an Autos, Steinen und Weissen. Sie fressen Sand und Menschen. Laermende Lastwagen aus vergangenen Zeiten durchkreuzen die Stadt, grosskoernige Staubwolken hinter sich herziehend.
Wie in Malindi werden hier die Muellberge angeschmort, dummerweise direkt vor unserem Fenster. Die Dunstwolke aus brennenden Gummireifen und Muelltueten kitzelt unsere Nasenhaare und weckt uns unsanft aus tiefen Lariamtraeumen.
Aus Gruenden der inneren Sicherheit werden wir Peter und Paul genannt. Dieser Identitaetswechsel war von Noeten wegen aufdringlicher Butter-Flies (kaeufliche Damenbaerte).
Fliegen auch beim Essen. Neulich assen wir Pommes mit Haehnchen und versuchten schneller als die Fliegen zu sein. Noch bevor die Maden schluepfen konnten, war das Essen verdaut.

Billig aber auch irgendwie schoen: unsere Partnerboerse. In dieser Absteige treffen sich verlorene Herzen, finden unattraktive Kartoffeln knackiges Frischobst aus Kenia. Baertige Busfahrer treffen auf Hallie-Barry-Imitate, staemmige Fleischfachverkaeuferinnen von Bolle und Tengelmann finden hier ihre exotischen Stammeskrieger fuers Leben. Und wir mittendrin zwischen Fleischeslust und ZDF-Abendunterhaltung in der zweiten Reihe.

dining room:
- Unterhaltung zweischen zwei Sachsen: "heut faehrst Du ab und SIE schlaeft den ganzen Tag. Ich werd mal was zu ihr sagen. Dein letzter Tag!"
Themenwechsel:
"...und wenn die Schwarze sagt, "der Weisse hat mich gewuergt", dann hast Du keine Chance, dann gehst Du in den Knast. Ob man Wuergemale sieht oder nicht!" "Aber Du kannst Dich ja freikaufen!" "...was das kostet!"

Neben dem dining room: lauthals singende Ueberchristen allsonntaeglich in kakophoner Dysharmonie, plaerren dieselben nicht zueinander passenden Akkorde rauf und runter. Unerwartet Deutsche Gruendlichkeit als Gegenmassnahme: eine Unterschriftenliste der Nachbarn wurde zusammengestellt und beim Kreiswehrersatzamt in Kilifi eingereicht.

Auf der Hauptstrasse: gebilligte und provozierte Rueckkopplungen und Uebersteuerungen aus Lautsprechern zur Akquise von Neukunden fuer Kreditgeber, Wahlkampf, Krautermedizin, HiV-Aufklaerung, Kirche und Mobilfunk (Safaricom vs Celtel). Von diesen PR-Aktionen unbeeindruckt kreuzen Matatus nach neuer Kundschaft spaehend mit aussen haengenden Schaffnern durch die Kanalisation. Passagier ist alles: Ziege, Hirte, Peter und Paul, Alte und Junge werden alle fuenf Meter umworben und gezerrt. Bei den Matatus selbst handelt es sich um Fabrikate der Nissan-Karavan-Baureihe, bei welcher zusaetliche Sitzreihen eingeschweisst wurden (auf 14 Insassen maximiert). Die Fahrgastzelle imponiert mit einem in Gebetsteppich eingeschlagenem Armaturenbrett und Gardinenkordeln verhangenen Sonnenblenden. Der Rueckspiegel wird verdeckt durch ein DINA4 Passportraet des gut schmierenden Lizenzinhabers. Wer nicht schmieren kann, dessen Fahrgaeste muessen Polizeikontrollpunkte unterwandern.
Dach, Fahrgastzelle und Unterboden werden mit Neonfarben illuminiert. Der Farbenlehre nicht komplementaer sind grelle Aussenlacke und gleissende Neonroehren. Der maximale Anpressdruck wird sowohl durch masslose Besatzung als auch durch einen ueberdimensionierten Heckspoiler gewaehrleistet. Von Chrom verzierte kleine Wuehlreifen ebnen sich den Weg durch schon beschriebene Strassenverhaeltnisse. Polyphone Huptoene erweitern die Zubehoer Produktpalette der massangefertigten Tuningbauteile.

es hat sich herumgesprochen> Doktor Holiday:
- 4 jaehriger Patient mit Rasselgeraeuschen beidseits. Therapieplanaenderung: Salbutamoleinnahme nicht vor dem Schlafengehen, da systemische Wirkung (Patient und Familie konnten nachts nicht mehr schlafen). Wir beruhigten den Vater, da er einen kausalen Zusammenhang zwischen einem Unfall waehrend der Schwangerschaft und der Erkaeltung 4 Jahre spaeter befuerchtete. Nicht auszumalen die Folgen fuer die Mutter.
- 27 jaehriger Samburo-Krieger auf dem Boden eines Souvenierladens examiniert. Diagnose: Infektion der oberen Atemwege bei Fieber. Eine Therapie mit Doxycyclin wurde von der gewinnsuechtigen Apothekerin verhindert. Deshalb: fuer uns bezahlbare Therapie mit Amoxicillin. Besserung nach 3 Tagen festgestellt. Tanzverbot besteht weiterhin fuer die naechsten Tage.
Ein scheinbar generelles Problem an der Kueste ist das Schwitzen mit dem Anschliessenden Auskuehlen durch Zugluft. Neben unserer Empfehlung - dem Tragen einer vor Auskuehlung schuetzenden Kleidung - wurden die Patienten von uns angehalten, mit kochendem Wasser und Kamille zu inhalieren. Nach Uebersetzungsschwierigkeiten bleibt zu befuerchten, dass Chamaeleons in kochendes Wasser geworfen wurden.

Abendgestaltung: unser Stamm hat uns zu einem seiner Auffuehrungen mitgenommen. Veranstaltungsort war das all-inklusive Neptun-Hotel. Um Reinzukommen mussten wir den Waechter doppelt schmieren. Die Taenze waren martialisch mit rhythmischen Gesaengen untermalt. Die eindrucksvollste Komponente war das Stampfen und steil in die Luft Springen der Krieger.
WG-Party bei John (6qm fuer 3 Mitbewohner) mit Kikuju-Musik und Palmwein bei voelliger Dunkelheit (kein Strom). Beim anschliessenden Kneipenbesuch machten unsere Stethoskope und Infrarot-Fieberthermometer die Runde. Sie wurden mit Erschrecken und Faszination ausprobiert. Der hypochondrische Kellner war nach kurzem Lungen-, Herz- und Temperaturcheck sichtlich erleichtert.

Erkenntnis des Tages: Amoxicillin hilft doch.

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